Neutrale Farben selbst mischen

Hallo zusammen, heute möchte ich etwas zu „Neutralen Farben“ („neutrals“) schreiben. Wer sich mit dem Mischen von Farben befasst, stößt früher oder später auf Hinweise zu „grauen und neutralen“ Farben und warum es toll ist, sie selbst zu mischen.

Ich habe lange nicht gewusst, was eine neutrale Farbe eigentlich sein soll. Grau fand ich als neutrale Farbe plausibel, aber wenn man von grauen und neutralen Farben spricht, scheint es nicht das Gleiche zu sein.

Was sind neutrale Farben?

Ich finde den Begriff ehrlich gesagt, ziemlich unglücklich. Mit neutralen Farben meint man Farben nahe an Grau, d.h. stark entsättigte Farben. Nun finde ich ein rotstichiges Grau aber nicht neutral, sondern eben rot oder rotgrau. Aber das ist vielleicht mein persönlicher Geschmack für Begrifflichkeiten.

Neutrale Farben sind wichtig

Unglücklicher als dieses Missverständnis, finde ich aber die Einschätzung von entsättigten Farben, die sich durch den Begriff „Neutral“ für mich ergibt. Neutral klingt sehr nach unentschieden oder gleichgültig. „Wie stehst du zu dem Thema?“ – „Hm, da bin ich neutral.“ Es klingt für mich als seien neutrale Farben nicht so wichtig. Das Gegenteil ist der Fall!

Realismus vs. Quietschbunt

Im Beitrag zur Auswahl meiner Aquarellfarben habe ich schon etwas zum Mischen geschrieben, das neutrale Farben bereits aufgreift. Schaut man sich Buntstifte für Kinder an, sind diese sehr quietschig bunt. Die Farben haben eine hohe Sättigung. Sie sind maximal weit weg von Grau.

Entsättigte Welt…

Schaut man sich in der Realität um und hält gedanklich die Kinderbuntstifte daneben, merkt man schnell: So bunt ist die Welt gar nicht. Tatsächlich ist vieles, insbesondere Natur, aber auch Straßen, Städte, Menschen, wesentlich entsättigter. Nicht grau, aber eben auch nicht quietschbunt.

…mit tollen Ausnahmen

Natürlich gibt es auch leuchtend bunte Farben in der Natur. Raps quietscht so gelb, dass es auf digitalen Fotos kaum zur Geltung kommt. Fotos sind nah an der Realität, aber nicht so toll leuchtend, wie in echt. Das Gelb von Raps liegt außerhalb des RGB-Farbspektrums von digitalen Fotos.

Auch Blumenblüten, Leuchtreklamen, Kinderbuntstifte u.v.m. sind natürlich sehr gesättigt. Aber ihr Anteil an der Welt ist viel kleiner, als man annimmt. Möchte man beim Malen also etwas mehr Realismus, braucht es entsättigtere Farben als in Kinderbuntstiften.

Fokus setzen mit neutralen Farben

In einem Bild schaffen neutrale Farben Ruhe und Realismus. Eine Busch mit leuchtend pinken Blüten kommt besonders dann zu Geltung, wenn sich die Umgebung etwas zurückhält. Sind die Blätter des Busches sehr leuchtend, also gesättigt grün, fallen die Blüten weniger auf.

Unsere eigene Wahrnehmung lenkt uns auf herausstechende Farben. Der Grund, warum Pflanzen und Tiere überhaupt leuchtende Farben annehmen. Sie wollen auffallen. Das funktioniert aber nur, wenn nicht alles versucht aufzufallen.

Entsättigte und insb. die neutralen Farben sind also wichtig in einer Komposition. Aber warum selber mischen?

Selbst mischen

Man kann Aquarell- oder Gouachefarben in verschiedenen Sättigungen kaufen. Aber nicht so explizit wie z.B. bei (Alkohol-)Markern. Es ist eher eine implizite Eigenschaft verschiedener Pigmente. Und die Entsättigung geht auch nicht sehr weit. Neutrale Farben kann man durchaus auch kaufen, aber seltener. Und das ist auch nicht nötig.

Stimmiges Gesamtbild

Entsättigte Farben selbst zu mischen, hat den großen Vorteil, dass diese sich von allein stimmig ins Gesamtbild einfügen, in dem auch die gesättigteren Varianten der genutzten Farben vorkommen. Das ist der wichtigste Grund für das Selbermischen!

Wie entsättige ich also Farben? Dazu erstmal etwas Verständnis, was Farbe überhaupt ist. Dann beantwortet sich die Frage nämlich von allein. 🤓

Was ist Farbe?

Wir sind umgeben von Strahlung und ein Teil davon ist für uns sichtbar. Mit „Licht“ meint man für Menschen sichtbare Strahlung zwischen rund 400nm und 700nm, d.h. von Violett bis Rot. Kurzwelliger und damit jenseits von Violett kommen Ultraviolett (UV-Strahlung), Röntgen und Gammastrahlung. Langwelliger und jenseits von Rot kommen Infrarot, Mikrowelle und Radio.

Licht

Nun ist es so, dass mein violettes Notizbuch nicht von selbst violettes Licht ausstrahlt. Vielmehr wird es beleuchtet (Lampe oder Sonne) und schluckt alle Farben, außer die violette Strahlung, die in mein Auge reflektiert wird.

Eine rote LED-Lampe leuchtet dagegen rot, weil sie rote Strahlung aussendet. Eine LED-Glühbirne, die in verschiedenen Farben leuchten kann, enthält meist drei einfarbige kleinere LEDs, die zusammen alle möglichen Farben abbilden können.

Additive vs. subtraktive Farben

Additiv: Es leuchtet

Das Mischen bei der bunten LED funktioniert dennoch anders als Farbmischungen auf einer Aquarell-Palette. Die LED leuchtet, d.h. sie emittiert Licht in einer bestimmten Wellenlänge. Weißes Licht enthält alle Wellenlängen, sodass ich die Farbe Weiß erhalte, wenn ich alle Farben der LED zusammen einschalte und sie gemeinsam auf mehreren Wellenlängen strahlen. Alle Farben zusammen ergeben Weiß. Das nennt man additive Farbmischung.

Subtraktiv: Es schluckt Licht

Dinge, die nicht selbst strahlen, haben ihre Farbe aber davon, welches Licht sie schlucken, wie das Notizbuch oder aber Aquarellfarben. Blaue Farbe schluckt also alles außer Blau, rote Farbe alles außer Rot und gelbe Farbe alles außer Gelb. Wenn ich nun alle Farben zusammen mische, erhalte ich Schwarz. Denn unterm Strich werden alle Farben geschluckt. Von der einen oder anderen beteiligten Aquarellfarbe. Das nennt man subtraktive Farbmischung.

Fotos am Rechner vs. ausgedruckt

Wer sich schon mal ausführlicher mit dem Drucken von Fotos beschäftigt hat, ist vielleicht unbewusst über genau diese Unterscheidung gestolpert. Digitale Fotos leuchten von sich aus auf dem Bildschirm, sie werden in RGB-Farben beschrieben. Drucker drucken aber nicht-leuchtende Farben auf Papier. Diese werden dann in CMYK-Farben beschrieben. Die Konvertierung vom einen ins andere geht nicht ganz ohne Verluste. Es gibt eine ganze Branche aus Druckern und Farbenherstellern, die versucht, diese Probleme in den Griff zu bekommen.

Wie entsättige ich nun meine Farben?

Entsättigt bedeutet nah an Grau. Betrachtet man Schwarz als sehr dunkles Grau, ist klar: Alle Farben zusammen mischen, ergibt Schwarz. Möchte ich Grau malen, muss es heller sein und das erreiche ich, wie bei Aquarell üblich, mit mehr Wasser. D.h. ich verteile die Partikel, die das Licht schlucken weiter oder habe weniger Partikel auf der gleichen Fläche. Weniger Licht geschluckt, heißt heller.

Von Grau kommend

Gebe ich dieser Grau-Mischung nun etwas mehr Rot mit, wird das Grau rotstichig. Logisch. Oder? Warum eigentlich? Grob gesagt, weil nicht genug Blau und Gelb da sind, um das zusätzliche Rot zu schlucken.

Gebe ich immer weiter Rot hinzu, wird dieses Rot kräftiger. Bis ich so viel Rot beigemischt habe, dass das bisschen Blau und Gelb nicht so recht ins Gewicht fallen. Die Sättigung des Rots steigt.

Von Farbe kommend

Umgekehrt funktioniert das natürlich auch. Fange ich mit Rot an und möchte es entsättigen, muss ich Farben hinzugeben, die mein Rot schlucken oder zumindest etwas davon. Also Blau und (kaltes) Gelb.

Entsättigung nur mit Grundfarben?

Mit drei Grundfarben geht das immer. Aber was ist mit den anderen? Die Idee bleibt die gleiche. Für die Entsättigung von Rot habe ich Blau und Gelb verwendet. Hätte ich Blau und Gelb vorher gemischt, wäre der Effekt auf das Rot derselbe. Warum auch nicht. Blau und Gelb gemischt, ergibt Grün.

Nein, das geht immer!

Schaut man sich das also einmal auf dem Farbkreis an, sieht man, dass die Entsättigung genau mit der gegenüberliegenden Farbe, also der Komplementärfarbe funktioniert.

Möchte ich Gelb entsättigen, kann ich Rot und Blau nehmen oder direkt Violett. Möchte ich Orange entsättigen, weiß ich, dass Orange aus Rot und Gelb besteht. Zur Entsättigung fehlt also Blau.

Alle Farben, nicht nur die ausdrücklich genannten, lassen sich gut nach Gefühl auf dem Farbkreis einordnen. Die Komplementärfarbe ergibt sich dann ggf. auch als Farbe zwischen den ausdrücklich bezeichneten Farben im Kreis. Die Technik bleibt aber immer die Gleiche.

Farbkreis und Nuancen nutzen

Zu jeder Farbe funktioniert die Komplementärfarbe. Man kann sich also immer herleiten, welche Farbe entsättigend wirkt. Oder man legt sich einen gekauften oder selbstgemalten Farbkreis neben die Palette und schaut gegenüber. Und auf Dauer, weiß man das einfach auswendig. 🎨

Und das selber Mischen erlaubt mir alle Abstufungen, die ich handwerklich hinbekomme. Entsättige ich die Farben, die ich sowieso im Bild nutze, wird es besonders schön und stimmig. 🤗 Außerdem wirken die leuchtenden Teile des Bildes umso schöner, je mehr Raum ich ihnen zum Wirken lasse.

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  • Beitrag zuletzt geändert am:02.04.2024

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